Die Kunst des Geschichtenerzählens war schon immer mehr als bloße Unterhaltung – sie verbindet Menschen und Generationen auf der ganzen Welt. Seit Jahrhunderten werden Werte, Sprache und kulturelle Identität durch Volksmärchen, Mythen, Legenden und mündliche Überlieferungen weitergegeben. Sie sind ein kraftvolles Mittel, um Zugehörigkeit zu schaffen und wichtige Werte weiterzugeben.
Auch im 21. Jahrhundert ist das Geschichtenerzählen keine verlorene Kunst. Es hat sich vielmehr angepasst – an die sich ständig verändernde Medienlandschaft. Heute haben Kinder Zugang zu einer Fülle von Inhalten, die oft global vereinheitlicht und weit entfernt von ihren eigenen kulturellen Wurzeln sind. Genau deshalb ist es heute wichtiger denn je, ihr Interesse an traditionellen Geschichten und Volksmärchen zu wecken.
Wie kann das gelingen?
Kinder von heute sind neugierig, technikaffin und lernen am besten durch Interaktion und Spiel. Still dasitzen und zuhören reicht oft nicht aus, um ihre Aufmerksamkeit zu halten. Um sie wirklich zu fesseln, müssen wir Geschichten so erzählen, wie sie gerne lernen – mit Aktivität, Klang und Mitgestaltung.
Wenn Dein Kind Redewendungen aus amerikanischen YouTube-Videos übernimmt oder keinen Bezug mehr zu den Geschichten hat, mit denen Du aufgewachsen bist, hast Du diesen Bruch wahrscheinlich schon selbst erlebt. In einer digitalen Welt stellt sich also die Frage: Wie können wir dafür sorgen, dass unsere Kinder mit ihren Wurzeln verbunden bleiben?
Die Kraft der Interaktivität
Anstatt Technik abzulehnen, sollten wir sie kreativ nutzen, um alten Geschichten neues Leben einzuhauchen. Geschichtenerzählen war schon immer im Wandel – von mündlicher Überlieferung über Schriftrollen, Bücher und Radio bis hin zum Film. Jetzt sind interaktive Hörbücher der nächste Schritt. Sie erlauben es Kindern, Volksmärchen auf eine spielerische, aktive Art zu erleben – im Einklang mit Tradition und Zukunft.
Schau Dir Irland an: ein Land mit einer reichen Erzähltradition. Irische Erzähler innen – die Seanchaithe und Scéalaí – haben Geschichten wie The Children of Lir, The Salmon of Knowledge, und Oisín in Tír na nÓg überliefert. Diese Geschichten sind voller Humor, Weisheit und kultureller Tiefe. Doch außerhalb von Schulen und den Irisch-sprechenden Regionen (Gaeltacht) kennen viele Kinder diese Geschichten kaum noch.
Hier kommen interaktive Hörbücher ins Spiel.
Mit Klanglandschaften, Stimmen und Entscheidungen zum Mitmachen werden Kinder zu aktiven Teilnehmern der Geschichte:
Sie können in die Rolle von Oisín schlüpfen und selbst entscheiden, ob sie den Männern helfen oder auf dem Pferd bleiben in Oisín in Tír na nÓg – oder als Fionn mac Cumhaill mit dem gesamten The Salmon of Knowledge in sich das Abenteuer des Lachses der Weisheit erleben.
Und ganz nebenbei hören sie die irische Sprache – nicht als Unterrichtsfach, sondern als lebendige, greifbare und spannende Erfahrung.
Das Problem
- Kulturelle Entfremdung: Traditionelle Geschichten verschwinden außerhalb von Schule und Kulturinstitutionen.
- Sprachverlust: Alte Sprachen werden im Alltag kaum noch gesprochen oder gehört.
- Passive Mediennutzung: Die meisten Inhalte regen nicht zum Mitmachen an.
- Gefühl der Irrelevanz: Viele Kinder sehen ihre eigene Kultur als veraltet an.
Die Lösung
Wir müssen Kinder dort abholen, wo sie sind:
An Bildschirmen, mit Kopfhörern, in den digitalen Räumen, in denen sie lernen und spielen.
Wenn wir akzeptieren, dass heutige Kinder digitale Eingeborene sind, erkennen wir auch: Sie lernen am besten durch eigenes Handeln, durch Auswahlmöglichkeiten und durch Interaktion.
Interaktives Geschichtenerzählen ersetzt die Tradition nicht – es denkt sie neu.
Kinder können dadurch:
- Entscheidungen treffen, die den Verlauf der Geschichte verändern
- Ihre Erbsprache in einem vertrauten, spielerischen Kontext hören und sprechen
- Eine emotionale Verbindung zu den Figuren und Themen ihrer Kultur aufbauen
Geschichten werden lebendig – nicht als Hausaufgabe oder Geschichtsunterricht, sondern als Abenteuer.

Bild von Dhruv vishwakarma
Ein persönlicher und kultureller Blick – Rebecca Fischer (aventu – Media und Verlagswesen Expertin)
Wenige Länder zeigen die Verbindung von Kultur und Geschichtenerzählen so deutlich wie Irland. Von Erzählungen am Kamin bis zu Geschichten im Schulbuch spiegeln irische Mythen das Land, die Sprache und den Geist der Menschen wider. Und doch fühlen sich viele Kinder – und auch Erwachsene – von der Sprache und den Erzählungen ihrer Vorfahren entfernt.
Ich selbst habe zwei Muttersprachen und zwei kulturelle Hintergründe. Ich weiß, wie schnell diese Verbindung verloren gehen kann. Trotz meines Stolzes auf meine Identität habe ich mir oft gewünscht, meine eigene Nationalsprache besser zu beherrschen.
Was passiert, wenn unsere Kinder in den Medien nur eine Seite ihrer Identität wiederfinden?
Wie bringen wir sie dazu, stolz auf ihre kulturellen Wurzeln zu sein – und sich nicht davon belastet zu fühlen?
Interaktives Erzählen kann ein freudvoller Weg zurück sein.
Wenn ein Kind in seiner Erbsprache mit einem mythischen Helden Entscheidungen trifft oder über eine lustige Figur lacht, lernt es nicht nur – es lebt die Geschichte. Ein Großelternteil und ein Kind können nun The Salmon of Knowledge nicht nur als Erinnerung teilen, sondern gemeinsam erleben. Tradition trifft Technologie. Vergangenheit trifft Gegenwart.
Die Vorteile
Kurzfristig:
- Kinder sind aufmerksamer und stärker eingebunden
- Sprachenlernen wird spielerisch und freudvoll
- Kulturelle Geschichten werden spannend und einprägsam
Langfristig:
- Kinder entwickeln kulturelles Selbstbewusstsein und Stolz
- Geschichtenerzählen wird zur generationenübergreifenden Tradition
- Kreativität und Identität wachsen durch ein starkes Gefühl der Herkunft
Stell Dir vor, ein Großelternteil teilt eine geliebte Geschichte per interaktivem Hörbuch – es entstehen neue Erinnerungen, Generationen verbinden sich, alte Weisheiten leben weiter in neuen Formen.Dank digitaler Möglichkeiten verstauben alte Geschichten nicht mehr im Regal.
Sie leben – in Kopfhörern, auf Bildschirmen, in der Fantasie junger Zuhörer*innen.
Wenn wir Tradition mit Technologie verbinden, bewahren wir nicht nur die Vergangenheit. Wir nehmen sie mit in die Zukunft.
Titelbild von Giuseppe Argenziano